Steinschlagschutz für Tunnelbau
9. Januar 2025 | Lucia Reinsprecht
Luftig, luftig! Für jeden nicht Schwindelfreien würde allein der Blick in die Tiefe genügen, um Unbehagen zu verspüren. Geschweige denn, sich angstfrei auf einem Holzpfosten der in der Felswand verankerten Gerüste zu bewegen. 70 Meter blickt man von der obersten Arbeitsebene in die Tiefe, das entspricht etwa dem 20. Stock eines Hochhauses.
Körperliche Fitness
Auf sieben waagrecht angebrachten Gerüsten, die sich in Zehn-Meter-Abständen quer über die senkrechte Felswand ziehen, bewogen sich die Höhenarbeiter des Felbermayr-Spezialtiefbaus so gewandt, wie andere zu ebener Erde nicht. Dort den ganzen Tag lang am Seil gesichert und konzentriert zu arbeiten, ist nur Wenigen vorbehalten. „Das erfordert mentale und körperliche Fitness sowie eine seiltechnische Ausbildung, um sich und andere sichern zu können“, betont Projektleiter Markus Winkler. „Der Zugang zur Arbeitsstelle erfolgte über einen Klettersteig, den wir eingerichtet haben. Täglich hieß es da zweimal rauf- und wieder runter zu klettern, weil es auch für die Mittagspause runter geht. Für kürzere Pausen zwischendurch sind Podeste errichtet worden, auf denen man sich gut bewegen konnte.“
71 große Bohrungen
Das Team ist zwischen 7 und 15 Mann stark und arbeitete seit Sommer 2024 an den bis zu 30 Meter langen Betonsicherungen. Dafür brauchte es 71 große Ankerbohrungen mit 120 mm Durchmesser in den Felsen des Venter-Bergstocks. „Diese Bohrungen sind zwischen 12 und 25 Meter tief, insgesamt kamen wir auf 1,1 Kilometer Bohrlochtiefe“, informierte der Projektleiter. Für 25 Meter Tiefe brauchte es übrigens einen ganzen Tag. Bei den unteren drei Querbalken erleichterten ein Bohr-Lkw und ein Kran die Arbeiten. Die 75 mm dicken Stahlanker mit doppeltem Korrosionsschutz wurden auf der ganzen Länge verpresst und schließlich mittels Zementinjektion im Berg fixiert.
Teils überhängende Wand
Des Bohrens für die großen Anker nicht genug: Für Klettersteig, Baustelleneinrichtung, Gerüste und aufwendige Betonschalungen brauchte es unzählige kleinere Sicherungspunkte. Das alles ist „steinharte Arbeit“. „Einzelne Komponenten sind für uns durchaus Routine und Standardarbeiten, aber aufgrund dieser Höhenlage und Steilheit mit teils überhängenden Wandstellen war das ein sehr herausforderndes Projekt für uns“, fasst Winkler zusammen.
Hunderte Hubschrauberflüge
Ein Projekt, das auch beeindruckende Zahlen aufzuweisen hat: „Von der Kubatur her hielten wir bei insgesamt rund 230 Kubikmeter oder anders ausgedrückt, 575 Tonnen Beton,“ informiert der erfahrene Bauleiter. Dieses Material wurde per Hubschrauber im Zwei-Minuten-Intervall nach oben geflogen und unmittelbar in die Schalungen gegossen. „Pro Kubikmeter waren drei bis vier Flüge notwendig, für die 25 Kubikmeter des obersten Balkens ist der Hubschrauber knapp drei Stunden geflogen.“ Bei Eisbildung oder einem Wintereinbruch würden die Arbeiten sofort eingestellt: „Wenn es friert, haben wir in der Wand nichts mehr zu suchen“, merkt Winkler vehement an und verweist damit auf das dadurch exorbitant steigende Gefahrenpotentials hin.
Vorarbeit für Rettungstunnel
Die sieben betonierten Balken werden das Wandgestein großflächig und dauerhaft sichern. Nach der Fertigstellung helfen Überwachungssensoren, potenzielle Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Der einröhrige, sieben Kilometer lange Landecker-Tunnel Richtung Reschenpass markiert den Beginn der Inntalautobahn A12 und wurde im Jahr 2000 eröffnet. Die Sicherung der Felswand ist der erste Schritt für den Bau eines Rettungstunnels und ist somit auch als vorauseilende Sicherheitsmaßnahme für weitere Arbeiten zu werten.